Avignon, Prison Sainte-Anne, Disparation des lucioles, by: Castel Franc ProvenceAvignon, Prison Sainte-Anne, by: Castel Franc ProvenceZellentür des "Prison Sainte-Anne", Avignon, by: Castel Franc / Provence"La Disparation des Lucioles", Avignon, Kiki Smith: Girl with Globe"Maison d'Arret", Avignon: La Disparation des Lucioles, by Castel Franc ProvenceZellentrakt im alten "Prison Sainte-Anne", Avignon; by: Castel Franc, ProvenceAvignon, Prison Sainte AnneMaison d'Arret, Avignon, La Disparation des Luciols

Bis zum 25. November 2014 ist in Avignon eine bewegende Ausstellung zu sehen. Große Teile der berühmten „Collection Lambert“ werden in Zellen, Fluren und Höfen des alten Gefängnisses „Sainte-Anne“ gezeigt...

Nachdem der Pariser Galerist Yvon Lambert 556 Kunstwerke aus seiner Sammlung der Stadt Avignon geschenkt hat, platzt das zugehörige Museum aus allen Nähten. Um die Collection Lambert im angemessenen Rahmen präsentieren zu können, werden die Ausstellungsräume (bis zum Sommer 2015) umgebaut und erweitert. 


Foto: Castel Franc

Zahlreiche Objekte hat die Museumsleitung deshalb in das leer stehende Prison Sainte-Anne umgesiedelt. „La disparition des lucioles“ lautet der Titel dieser Ausstellung in den Mauern des historischen „Maison d’Arret“. Zu verfehlen ist der Weg dorthin nicht; Hinweise findet man überall in der Stadt. 

Geschichte des "Prison Sainte-Anne" in Avignon

Auch wenn dessen Zellentüren hinter den Besuchern offen bleiben, ist der Gang hindurch ein starkes Erlebnis. Die Atmosphäre dieses Gefängnisses wirkt sich aus!      
 Das „Sainte-Anne“ (bis dahin eine der   
 ältesten Haftanstalten Frankreichs)
 steht seit 10 Jahren leer. Ihr Bau geht
 zurück auf einem Regierungserlass
 von 1810; jedes Arrondissement war
 demnach verpflichtet, sein eigenes
 „Maison d’Arret“ unterhalten. In Avignon
 wurde dieses Edikt erst recht spät
 umgesetzt. Unterhalb der mächtigen
 Felsen des Papstpalastes, auf dem
 Areal eines ehemaligen Irrenhauses,  begannen 1865 die Bauarbeiten. Nach Plänen des Architekten Eugène Pascal entstand, auf einer Fläche von 8.400 qm, das „Prison Sainte-Anne“.
beide Fotos: Castel Franc

Umso länger war es dann in Betrieb. Das erste Haftregister wurde 1871 angelegt – und seine Einträge endeten im Frühjahr 2003.

Die Insassen durften nun umziehen, in das neue Gefängnis, im Vorort Le Pontet. Ein Abreißkalender, der in der Zelle eines Inhaftierten gefunden wurde, endet auf der Seite von Sonntag, dem 23. März 2003. Dieser Kalender markiert das Datum, an dem das „Sainte-Anne“ seine Pforten hinter dem letzten Gefangenen schloss, nach einer Betriebsdauer von 132 Jahren!

 „Als „Maison d’Arret“ hatte es eine ganz besondere Funktion:
 Einerseits mussten dort Untersuchungsgefangene einsitzen
 (wegen aller möglichen Delikte). Außerdem Häftlinge, deren 
 Urteil ein Jahr Freiheitsstrafe übersteigt, deren Verurteilung
 aber noch nicht rechtskräftig war. Und es gab Delinquenten,
 deren Strafe keine zwei Jahre (mehr) betragen hat. Wenn die
 französische Justizverwaltung heute auch den den Eindruck
 erweckt, solcher Strafvollzug komme eher dem Aufenthalt in
 einem Erholungsheim gleich - so wie hier - war davon im alten
 "Sainte-Anne" nichts zu spüren. Meist teilten sich 6 Häftlinge
 eine Zelle, unter zweifelhaften hygienischen Bedingungen.
Foto: Castel Franc

Die Zellen waren sehr schmal, weshalb die Betten der Insassen oft in drei Etagen übereinander aufgestellt sein mussten. Zwar verfügten diese Zellen über eine Toilette (oft noch im Stehen zu benutzen). Deren Ummauerung stand jedoch nach oben offen, zum Gemeinschaftsraum war sie nur mit einer Schwingtür als Sichtschutz versehen. Dass es für diese Einrichtung keinen Abluftanlage gab, versteht sich von selbst. An den dort verrichteten „Geschäften“ ihrer Mitbewohner konnten also alle Zelleninsassen direkt teilhaben. Dieses Foto stammt aus den "Archives Départementales de Vaucluse". 

Ein Video, das wir auf "Vimeo" gefunden haben, dokumentiert eindrucksvoll den damaligen Zustand dieses düsteren Ortes: 

Das "Prison Sainte-Anne" ab seiner Räumung im Jahr 2003

Inmitten des historischen Zentrums von Avignon befindet sich das leer stehende „Sainte-Anne“ in einer touristischen Toplage. Gerne hätte die Stadt das Gebäude erworben, um ein Hotel daraus zu machen. Dieses Vorhaben erwies sich jedoch als zu teuer, denn das französische Finanzministerium wollte mindestens vier Millionen Euro für die (unter Denkmalschutz stehende) Immobilie haben.

2010 erhielt dann „Marriott International“ den Zuschlag – allerdings mit der Auflage, zumindest einen Teil des Gebäudes in ein Spitzenhotel zu verwandeln. Pläne, aus den Gefängniszellen 110 Zimmer (nebst Konferenzräumen, Pool, Tiefgarage etc.) zu erschaffen, gab der Hotelbetreiber allerdings im Zuge der Wirtschaftskrise bald wieder auf.

Also konnte nun die „Collection Lambert“ in das alte Gefängnis einziehen. 

La disparation des lucioles – das Verschwinden der Glühwürmchen

Der etwas merkwürdige Titel der Ausstellung geht zurück auf einen Brief von Pier Paolo Pasolini aus dem Jahr 1941. Und auf einen zugehörigen Text, den er 1975 im Corriere della Sera veröffentlicht hat. Sein Brief handelt von einer Nacht während des zweiten Weltkrieges, in welcher er gemeinsam mit Freunden unzählige Glühwürmchen gesehen hatte. Während dieser Nacht, so schrieb Pasolini, habe er seine Freunde sehr um deren Gemeinschaft beneidet.

1975, wenige Monat vor seiner Ermordung, nahm er das Thema wieder auf. Im Corriere della Sera veröffentlichte Pasolini eine Schrift „von den Glühwürmchen“ und stellt darin fest, dass diese Tierchen, innerhalb der letzten 10 Jahre, durch Umwelteinflüsse fast blitzartig verschwunden seien. Gleichzeitig habe sich eine neue Macht – nämlich der wiedergekehrte Faschismus – wie eine alles umfassende Nacht über Italien gelegt. Dies sei ein Zustand, der den Menschen ihre geistige Vitalität nehme, So werde es bald überhaupt keine Glühwürmchen mehr geben, deren Licht selbst in größter Dunkelheit noch Hoffnung spenden könne. Dann bleibe nur noch eine schmerzliche Erinnerung an die Vergangenheit...

Ce quelque chose qui est intervenu il y a une dizaine d’années, nous l’appellerons la disparition des lucioles. ” So endet der vorgenannte Text.


Foto: Castel Franc (Nan Goldin, "Bruce in the Smoke", 2000, Collection Lambert, Avignon)

Um dieses Thema – nämlich die Vergänglichkeit der Zeit, den Verlust von Liebe und  Gemeinsamkeit, um Einsamkeit – geht es bei "la disparation des lucioles".

Die im "Sainte-Anne" gezeigte Ausstellung ist, im wahrsten Sinn des Wortes, lang. Auf drei Etagen des "Maison d'Arret" müssen Sie eine gute Strecke zurücklegen; mindestens zwei Stunden sollten dafür eingeplant werden!

Neben vielen Bildern, Fotos und Skulpturen der "Collection Lambert" gibt es auch eine Vielzahl von Vorführungen, die durchaus zum Verweilen einladen. Wie z.B. die Video-Installatin "Telephones" des amerikanischen Künstlers Christian Marclay: 

Nicht nur die dort gezeigten Kunstwerke bilden einen interessanten Rahmen, sondern auch die Hinterlassenschaften der ehemaligen Zelleninsassen passen oft sehr gut zum Thema. Etwa dann, wenn man sich hinter diese Zellentür stellt und der darauf geschriebenen Aufforderung folgt:


Foto: Castel Franc

Viele Werke, die hier zu sehen sind, mag Besuchern der "Collection Lambert" bereits bekannt sein. Es lohnt sich aber, diese in den völlig anders wirkenden Ausstellungsräumen des Prison Sainte-Anne völlig neu zu entdecken. Denn die ungewöhnliche Umgebung passt ausgezeichet zu einer Vielzahl der Objekte.

So kommt etwa die Neon-Installation "j'ai rêvé d'un autre monde" von Claude Lévêque zwischen in den abgewrackten Knastwänden erst richtig zur Geltung.

Viele andere Künstler werden ebenfalls präsentiert; von Ai Weiwei über Joseph Beuys, Nan Goldin, Anselm Kiefer, Pier Paolo Pasolini, Andy Warhol bis Chen Zen.
 

Info:

La disparition des lucioles (bis 25. November 2014)
Prison Sainte-Anne, 55 rue de la Banasterie, Avignon

Öffnungszeiten:
täglich außer Montag, von 11 - 18 Uhr.

Eintritt: 10 EUR

Webseite der Collection Lambert 

 

 


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